Was ist Wendo?

Zeichnung von einem weißen Mädchen mit schwarzen Haaren, Leopardenprint-Shorts und roten Boxhandschuhen

Warum überhaupt Feministische Selbstbehauptung und Selbstverteidigung für Frauen?

Im Zuge der 2. Frauenbewegung in den 1970er Jahren wurde im Kampf gegen Unterdrückung und Ungleichheit (§218, Lohnungleichheit usw.) Gewalt gegen Frauen zum ersten Mal (in Mitteleuropa und den USA) aus dem privaten Bereich in eine politische Debatte überführt und skandalisiert:

Das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen wurde nicht mehr als einzelner Ausreißer, sondern als Ungleichheit zwischen den Geschlechtern herstellend und auf dieser Ungleichheit beruhend analysiert. (siehe auch Präambel der Istanbul-Konvention) Diese Ungleichheit ist allerdings nicht für alle Frauen gleich, sondern oft mit weiteren Unterdrückungsmerkmalen verwoben.

Auch wenn klar war und ist, dass eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung zur Beendigung von Gewalt nötig war und ist, galt und gilt es, unmittelbar von Gewalt bedrohten oder betroffenen Frauen zu helfen und diese zu unterstützen. So wurden die ersten Frauenhäuser und Beratungsstellen für vergewaltigte Frauen gegründet. Es sollte allerdings nicht nur darum gehen, Frauen ausschließlich vor Gewalt zu schützen: Allein die Frage, ob Frauen sich selbst wehren können, ist Ausdruck einer herrschenden Geschlechterhierarchie. Die Fähigkeit, für sich selbst eintreten zu können und zu wollen, wird für 50% der Bevölkerung nicht als Selbstverständlichkeit angenommen.

Hier tauchten Fragen auf:

Was kann getan werden, bevor Gewalt passiert?

Was können Frauen tun, wenn Grenzverletzungen oder Gewalt gegen sie verübt werden?

Welche Hürden machen das Sich-Wehren schwer?

Als Antwort auf diese Fragen wurde Wendo, ein Konzept für Feministische Selbstbehauptung, Selbstverteidigung und Gewaltprävention, entwickelt.

 

Kernpunkte des Konzepts sind:

Die Anerkennung von Gewalt gegen Frauen

„Was sie (Gewalt) unerträglich macht, ist weniger unsere Unfähigkeit, etwas tun, sie zu beeinflussen, als vielmehr ihre Unvermeidbarkeit.“ E. Dorlin. So hat laut der europaweiten FRA-Studie 2014 jede dritte Frau (33%) seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren.

Durch das Benennen von Gewalt gegen Frauen in all ihren Ausprägungen: sexistische Sprüche, cat-calling, mansplainig, hin zu sexueller Belästigung, Vergewaltigung und Gewalt durch Partner wird Gewalt enttabuisiert. Angst vor und das Erleben von Grenzverletzung und Gewalt ist demnach kein individuelles Problem, sondern Ausdruck der Lebensrealität vieler Frauen und der Gesellschaft, in der sie leben.

 

Das Wissen über den Zusammenhang zwischen den ‚kleinen‘ scheinbar harmlosen Grenzverletzungen und massiveren Formen von Gewalt gegen Frauen: Solche Grenzverletzungen und Gewalt sind Ausdruck von Geschlechterungerechtigkeit und hängen eng zusammen. Sie werden durch Rollenzuweisungen ermöglicht.

Bevor es also zu massiver Gewalt kommt, heißt es die ‚kleinen‘ Grenzverletzung als das anzuerkennen was sie sind, sie ernst zu nehmen und aktiv zu werden. Dadurch kann oftmals eine Eskalation verhindert werden. Zudem stellt das nicht mehr hinnehmen müssen von oft alltäglichen Belästigungen einen enormen Zugewinn an Lebensqualität dar.

 

Das Wissen über Dynamiken der Gewalt im Geschlechterverhältnis und wie ihnen begegnet werden kann.

Viele Frauen wehren sich erfolgreich gegen Grenzverletzungen und Gewalt. Allerdings wird dies oft dem Zufall oder Glück zugeschrieben und diejenigen wissen oft nicht genau, warum etwas erfolgreich war oder nicht. Erklärt wird es oft mit Annahmen über die andere Seite: ‚Der/die war gar nicht so schlimm. Bei jemand anderem hätte es bestimmt nicht funktioniert.‘ etc.

Gewalt im Geschlechterverhältnis passiert allerdings nicht zufällig, sondern kennzeichnet sich durch das Ziel der Abwertung des anderen. Grenzverletzungen und Gewalt sind in der Regel geplant, erwarten auf Schwäche und Unsicherheiten zu treffen oder diese herzustellen.

Das Wissen über Dynamiken in grenzverletzenden Situationen ermöglicht eine andere, eigene Einschätzung und das gezielte Brechen mit Erwartungen der anderen (grenzverletzenden Personen) sowie das Aufbrechen verinnerlichter sexistischer Normen.

Ob sich abgrenzen klappt, hängt damit nicht vom Zufall, dem guten Willen oder der Einsicht des Gegenübers ab, sondern von der Entscheidung, eigene Grenzen selbst zu bestimmen und zu verteidigen.

 

Das Wissen über die Folgen von Geschlechterhierarchien und erlebter oder angedrohter Gewalt

Die Mechanismen, Frauen von klein auf vor unspezifischer, vermeintlich im Außen lauernden Gefahren zu warnen, die Unterstellung, wenn „etwas“ passiert, selbst schuld zu sein, gleichzeitig stattfindende Übergriffe zu bagatellisieren, zu individualisieren oder gar nicht erst zu glauben, erschweren einen selbstverständlichen Zugriff auf die vorhandene Selbstbehauptungskompetenz. Hinzu kommen Sozialisationsaspekte wie „freundlich und nett“ sein, gleichzeitig aber auch durchsetzungsstark, aber nicht zu sehr und sozialkompetent bis zur Selbstaufgabe (So werden Mädchen beispielsweise immer noch aufgefordert, Jungen, die sie geschubst, geschlagen oder angespuckt haben zu fragen, wieso sie das getan haben.)

Sowohl diskriminierende Bilder, widersprüchliche, unerfüllbare Erwartungen als auch erlebte und angedrohte Gewalt haben negative Folgen auf Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein.

Das Wissen um diese Hürden, gepaart mit Handwerkszeug zum Grenzensetzen, baut Unsicherheiten ab und stärkt das zum Sich-Behaupten nötige Selbstvertrauen.

 

In den Wendokursen geht es nicht darum, abzuwarten und im Fall reagieren zu können.

Es geht um das Bewusstmachen von Möglichkeiten:

selbst entscheiden zu können und dürfen, wo die eigenen Grenzen liegen,

entscheiden zu können und dürfen, ob diese überschritten werden dürfen oder nicht. Wenn diese nicht überschritten werden sollen, zu wissen, wie dies deutlich zu vermitteln ist.

zu wissen, dass es immer eine Möglichkeit gibt, wie es weitergehen kann.

Es geht darum, offenen Auges und mit erhobenen Kopfes durchs Leben gehen zu können, mit dem Vertrauen auf die eigene Entscheidungsfähigkeit und die eigene Kompetenz diese Entscheidungen zu vertreten, unabhängig von dem Geschlecht und der Absicht des Gegenübers sowie dem eigenen Verhältnis zu der Person.